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"BAO ROADPOL“ in Köln: 80 Verkehrspolizistinnen und -polizisten legten ein Augenmerk auf E-Scooter-Fahrer, bei denen die Unfallzahlen drastisch zunehmen.
Knülle auf Rädern
Bei einem Großeinsatz der Polizei in Köln gerät alles ins Visier, was Räder hat – vom Roller bis zum Sattelschlepper.
Streife-Redaktion

Ein eisiger Samstagabend, das dritte Advents-Wochenende: Auf der Autobahn A555, kurz hinter dem Verteilerkreis Rodenkirchen, schluckt der dunkelgraue Himmel schon nachmittags um 16.30 Uhr den letzten Rest Tageslicht. Hundert Meter hinterm Burger King hören die Straßenlaternen auf, dahinter leuchten nur noch die Scheinwerfer der Autos in die Dunkelheit. Bis zu 80.000 Fahrzeuge schieben sich hier an Werktagen auf drei Spuren Richtung Kölner Ring und abends auf drei Spuren wieder zurück. Ein Verkehrsknoten, der an diesem Tag Hotspot für eine besondere Verkehrskontrolle ist. Um 17.30 Uhr haben Mitarbeiter der Autobahnmeisterei die linke Spur gesperrt und Kolleginnen und Kollegen der Bereitschaftspolizei in einer Parkbucht riesige Scheinwerfer aufgestellt. In 30 Minuten startet die „BAO ROADPOL“. In ganz Köln werden mehr als 80 Verkehrspolizistinnen und -polizisten unterwegs sein und Fahrer an Stellen überprüfen, wo es am häufigsten kracht.

Zu der Operation „Alkohol und Drogen“ hat das Netzwerk der europäischen Verkehrspolizeien ROADPOL (European Roads Policing Network) in 27 Ländern aufgerufen.

Besonders gefährdet sind ungeschützte E-Roller-Fahrer, die nach einer Partynacht auf zwei Rädern nach Hause gleiten. Der andere Mega-Trend im Verkehr: die zunehmende Zahl von Truckern, die mit 450-PS-Sattelzügen und dem Liefertermin im Nacken über die Autobahnen rund um Köln donnern. Nach Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums wird der gewerbliche Verkehr bis 2030 um 39 Prozent zunehmen.

18 Uhr, Parkbucht am Verteiler Rodenkirchen: Dort sind inzwischen die Kontrollteams der Autobahnpolizei eingetroffen. Ihre blau-gelben-Sprinter parken zwischen zwei 40-Tonnern aus Rumänien und Spanien. Ein Fahrer muss 1.470 Reifen bei Toyota in Frankreich abliefern, der andere transportiert Mandarinen für Discounter im Rheinland. Draußen brennt das Licht der Scheinwerfer jetzt so gleißend hell, dass die Beamtinnen und Beamten der Schwerlastgruppe sogar Führerscheine lesen und Reifenprofile messen können. In den Vans fahren Kollegen Computer hoch. Wo sonst die Rückbänke sind, haben sie ein Mini-Büro eingerichtet, in dem sie Personalien, Fahrzeugpapiere, Frachtscheine, Firmen-Lizenzen sowie Lenk- und Ruhezeiten überprüfen können.

In fünf Stunden beginnt das Nachtfahrverbot für Trucks. Gruppenführerin Katrin Hoffmann befürchtet: „Das setzt manche Unternehmer und somit auch ihre Fahrer zusätzlich unter Druck.“ Waren und Pakete müssen pünktlich geliefert werden. 

Keine Zeit für Ruhezeiten. Keine Zeit, die Ladung ordentlich zu sichern. Keine Zeit für Reparaturen. „Und wenn dann ein übermüdeter Fahrer ein Stauende übersieht und die Bremsen versagen …“ Die Hauptkommissarin kommt nicht zum Ende des Satzes, weil in diesem Moment ihr Funkgerät knarzt. Die Kollegen haben auf ihrem Beobachtungsposten an der A4 einen auffälligen Sattelschlepper entdeckt: „Fahrer ist zügig unterwegs. Auflieger neigt sich schwer nach rechts, schlingert.“ Da ist er, der typische Fall – oder hoffentlich doch nicht. Die Kontrolle wird es zeigen. Hoffmann sagt: „Bringt ihn rein.“ – Und ahnt irgendwie schon, dass genau dieser Lkw ihr Team länger beschäftigen wird.

18.30 Uhr, Polizeipräsidium am Walter-Pauli-Ring: Ungefähr zur selben Zeit, als im Streifenwagen der Autobahnpolizei das „BITTE FOLGEN“ rot aufleuchtet, machen sich im Büro von Frank Wißbaum, Leiter der Direktion Verkehr, die Einsatzleiter der „BAO ROADPOL“ zum Aufbruch fertig. Sie haben noch letzte Einzelheiten besprochen, jetzt geht es zu den Kolleginnen und Kollegen, die auf den Straßen Kölns bis in die frühen Morgenstunden 272 Fahrzeuge herausziehen und 13 Verkehrsstraftaten und 85 Ordnungswidrigkeiten feststellen werden.

Auch Polizeipräsident Falk Schnabel und der Abteilungsleiter Polizei aus dem Innenministerium Gerrit Weber sind dabei. In dem Meeting haben sie vorwiegend über eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern gesprochen, die ihnen besonders große Sorgen bereitet: die so genannten „Schwachen“, die Fußgänger, Radfahrer und immer häufiger auch E-Scooter-Fahrer, bei denen die Unfallzahlen drastisch steigen. Besonders an den typischen Partytagen – Freitag und Samstag – werden vor allem jüngere Menschen mit Schädel-Hirn-Traumata oder Schulter- und Schlüsselbeinbrüchen in die Kliniken eingeliefert. Allein im Jahr 2021 waren es 400 nur in Köln. 80 Prozent von ihnen hatten zu viel Alkohol im Blut. „Die Zahlen sind brisant“, sagt Schnabel. Und Gerrit Weber ergänzt: „Mobilität verändert sich. Darauf müssen wir uns einstellen. Aufklärung ist wichtig. Kontrollen können für mehr Sicherheit sorgen.“

Laut Kölner Unfallstatistik war im Jahr 2022 die Zahl der Verletzten im Straßenverkehr zwar so niedrig wie nie, aber bis zum 31. Oktober kamen dennoch mehr als 4.900 Menschen ins Krankenhaus. Mehr als 2.800 von ihnen waren auf zwei Rädern oder zu Fuß unterwegs. „Früher betrunken ins Auto, heute mit zu viel Promille auf den E-Roller“, bringt Maria del Carmen Fernandez Mendez, Referatsleiterin für Verkehrsangelegenheiten im Ministerium, das Problem auf den Punkt. Alle sind sich einig: „E-Scooter-Unfälle dürfen nicht die neuen Disco-Unfälle werden.“

19.05 Uhr, Verteilerkreis Rodenkirchen: Der Streifenwagen der Autobahnpolizei und Lkw-Fahrer Hassan L. (41) erreichen die Kontrollstelle am Verteilerkreisel in Rodenkirchen. Der Dieselmotor des 40-Tonners rumpelt noch kurz im Leerlauf, dann geht er aus. Katrin Hoffmann und ihr Team warten schon. Hassan L. hat einen türkischen Pass und transportiert für eine tschechische Spedition Pakete von den Niederlanden nach Österreich – darunter viele Bestellungen von Internet-Shoppern. Die Kontrolleure der Autobahnpolizei wissen schon, was das bedeutet: Druck. Innerhalb von 24 Stunden muss er die Waren mehr als 1.000 Kilometer transportieren. Katrin Hoffmann seufzt: „Die Arbeitsbedingungen der Fahrer sind oft katastrophal.“

Als die Kontrolleure die Tür des 25 Meter langen Aufliegers öffnen, kommen ihnen schon schwere Säcke entgegen. Die Ladung ist null gesichert. Es ist der erste von insgesamt neun Verstößen, die die Beamten finden werden, darunter fehlende Fahrgenehmigungen und nicht eingehaltene Ruhezeiten. 13.000 Euro Sicherheitsleistung muss der Spediteur am Ende zahlen, um den Laster wieder auszulösen.

19.15 Uhr, Rautenstrauch-Joest-Museum, Nähe Neumarkt: „Das ist unfassbar gefährlich“, flucht ein Polizist der Kölner Fahrradstaffel. Vor zwei Stunden ist er mit weiteren neun Kolleginnen und Kollegen zum Kölner Brennpunkt für Verkehrssünder geradelt. Gerade hat sein Team zwei Jugendliche von einem E-Scooter geholt, die auf der falschen Fahrbahnseite gefahren sind. Standpauke und Verwarngeld: 20 Euro.

Vor gut vier Jahren kamen die Elektroroller aus Amerika nach Deutschland, mittlerweile gehören sie auch zum Stadtbild von Köln. „80 Prozent der Unfälle sind selbst verursacht“, sagt Leitender Polizeidirektor Wißbaum und kündigt jeden Freitag und Samstag Schwerpunktkontrollen auf den Partymeilen und in der Kölner Altstadt an. Was kaum einer weiß: Wer betrunken auf einen E-Scooter steigt, kann schnell seinen Führerschein verlieren.

21 Uhr, am Autobahnkreuz Köln-Süd, Richtung Aachen und Niederländische Grenze: Benny Feist (44) und Armin Strunz (54) konzentrieren sich auf die Autos auf der A4. Nicht viel los. An einem gewöhnlichen Tag sind hier mehr als 40.000 Autos auf der Bahn. Ein aufgemotzter Mercedes zieht vorbei: viel PS, breite Reifen, doppeltes Auspuffrohr. Solche Fahrzeuge gibt’s oft in der Szene. Manche technischen Änderungen können zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen. Feist fixiert das Nummernschild und liest vor: AC für Aachen, dann folgen Buchstaben und Nummern. Partner Strunz sitzt auf dem Beifahrersitz und jagt das Kennzeichen durch ein Datenüberprüfungsprogramm in seinem Laptop auf dem Schoß. Unauffällig.

Die Beamten in Zivil gehören zu einem zehnköpfigen Team der Autobahnpolizei Frechen. Sie brauchen kein Navi, sie kennen alle Straßen, Autobahnkreuze und Parkplätze rund um Köln. Und auch die Tricks der Drogenkuriere, die über die A4 immer mehr Koks und Amphetamine aus den Niederlanden und Belgien einschleusen.

Strunz und Feist fahren an einem Tag bis zu 500 Kilometer – auch an diesem Abend. Auf der Höhe von Düren werden sie von einem FIATTransporter überholt. Feist murmelt das Kennzeichen, Strunz tippt. Treffer! Im Computer taucht das Foto eines 34-jährigen Mannes mit einem ellenlangen Vorstrafenregister auf: mehrere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, verschiedene Einbrüche in Lagerhallen. Beim letzten Raub hatte er eine Schreckschusspistole dabei. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell.

21.36 Uhr, Höhe Autobahnkreuz Kerpen: Feist drückt aufs Gas. Sie überholen den weißen Van. In der Heckscheibe leuchtet rot „BITTE FOLGEN“ auf. Gleichzeitig taucht aus der Dunkelheit ein weiterer Mittelklassewagen auf und verfolgt den verdächtigen Transporter. Darin sitzen die Oberkommissare Jonas Zehnpfennig (34) und seine Partnerin Jessica Meinerzhagen (26). Zusammen mit Feist und Strunz bilden sie ein Quartett. Kurze Nachricht über Funk und schon schlagen sie gemeinsam zu. Sie steuern den nächsten Parkplatz an.

„Es ist ein bisschen so, als wenn man die Stecknadel im Heuhaufen sucht“, sagt Oberkommissarin Meinerzhagen. Aber es gibt auch viele Erfolge: zum Beispiel einen, der lauter Hundert-Euro-Scheine in eine Sporttasche gestopft hatte, weil der doppelte Boden im Kofferraum schon voll war. Eine Million Euro hatte er dabei.

Zurück zum weißen Transporter am Autobahnkreuz Düren. Der Van ist sauber. „Komisch, komisch“, sagt Polizeihauptkommissar Feist. Das Team macht sich auf der A4 wieder auf die Suche. Die Kölner Polizistinnen und Polizisten hatten oft den richtigen Riecher: Zum Beispiel wurden vier Alkohol- und Drogenfahrten aufgedeckt, knapp 30 Geschwindigkeitsverstöße geahndet und 13 Verkehrsstraftaten festgestellt, davon über die Hälfte wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis. Eine davon durch einen 15-Jährigen, der auch noch die Unterschrift seiner Mutter gefälscht hatte, um den Pkw zuzulassen. Die Einsatznacht kann sich sehen lassen.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110