Tiefer, schneller, breiter!

Den Rasern keine Chance: Verdächtige Autos drehen die Beamten „auf links“.
Tiefer, schneller, breiter!
Motoren brummen, Auspuffe knattern und satter Sound dröhnt aus den Boxen. Raser, Poser und Tuner sind in einigen Großstädten zur Plage geworden. Im Konvoi paradiert die Szene vor allem an den Wochenenden nachts durch die Straßen. Die PS-Show ist zugleich ein Dating-Event. Anwohner kommen nicht in den Schlaf und ärgern sich über die Vermüllung der Straßen und Plätze. Energisch und konsequent geht die Dortmunder Polizei gegen das Spektakel vor.
Streife-Redaktion

An diesem Freitag im März steht wieder eine Schwerpunktkontrolle in der größten Stadt Westfalens an. Sie läuft unter dem Kürzel „VKR“ für „Verbotene Kraftfahrzeug-Rennen“. Die Raser sind für die Dortmunder Polizei allerdings nur ein Problem. Es geht auch darum, dass der öffentliche Verkehrsraum nicht für ein lärmendes und ungenehmigtes Event mit getunten Autos missbraucht wird, die oft nicht verkehrssicher sind.

Einsatzleiter Christoph Klinger hat sein Führungsteam um 20.30 Uhr ins Polizeipräsidium geladen, um den geplanten Ablauf zu besprechen. In eineinhalb Stunden soll es losgehen, wie schon seit Monaten an jedem Wochenende. „Die Zielvorgabe ist eindeutig“, sagt der Polizeihauptkommissar. „Kein Platz für die Szene rund um die Innenstadt.“

Das Operationsgebiet: der Wall, das südlich angrenzende Areal und einige Zufahrtsstraßen. Mehr als 50 Kolleginnen und Kollegen sind beteiligt. Sie kommen aus den beiden Direktionen Verkehr (V) und Gefahrenabwehr/Einsatz (GE), verstärkt durch Kräfte der Hundertschaft. Um den Verkehr zu kanalisieren, soll der Wall auf einen Fahrstreifen verengt und auffällige Kraftfahrzeuge sollen den mobilen Posten zur Kontrolle zugewiesen werden. „So habt ihr einen guten Blick auf eure Klientel“, kündigt Klinger, der Leiter des Verkehrsdienstes, an.

Bei einigen Tunern gilt als super cool, wer aus seinem Wagen mehr Motorleistung herausholt als erlaubt. Und wer dann noch an der Optik feilt, sammelt Zusatzpunkte, besonders bei den weiblichen Fans. Schon lange existiert in Dortmund eine starke PS-Szene. Sogar ein Tuning-Museum wurde im vorigen Jahr privat eröffnet. Seriöse Hobby-Schrauber und Chip-Optimierer distanzieren sich von dem wilden Treiben rund um den Wall.

Manche Teilnehmer der Wochenend-Rallyes kommen immer wieder, haben schon Platzverweise erhalten und sind polizeilich bestens bekannt. Es habe viele Beschwerden gegeben, erläutert der Einsatzleiter im Gespräch mit der „Streife“. Allmählich werde es ruhiger. „Wir kriegen von den Menschen, die in dem betroffenen Gebiet wohnen, einen Riesendank, dass sie jetzt schon mal bei offenem Fenster schlafen können.“

Aber man dürfe nicht nachlassen, mahnt der 51 Jahre alte Beamte. Präsenz sei weiter wichtig. „Seitdem die strategische Fahndung vom Polizeipräsidenten genehmigt wurde, können wir Fahrzeugkontrollen anlassbezogen, aber verdachtsunabhängig durchführen. Straftaten können so verhindert werden. Das hilft.“ Man nimmt die Autos genau unter die Lupe und lässt sie bei verdächtigen Manipulationen zur Überprüfung abschleppen.

Es gehe ja nicht nur um Ruhestörung und Verunreinigung städtischer Flächen, hebt Klinger hervor. Dortmund sei zum Magneten geworden. „Sie kommen aus Ostwestfalen, dem Rheinland, dem Sauerland, aber auch aus anderen Bundesländern.“ Auf dem Weg hin und zurück werden mit den aufgemotzten Schlitten immer wieder lebensgefährliche Wettkämpfe ausgetragen. Vor 14 Tagen haben sich beispielsweise Jungs aus Kassel auf der Autobahn bei Wünneberg-Haaren ein Rennen geliefert. „Per Zufall haben wir einen Tipp bekommen und konnten sie hier rausziehen. Ein solches Verhalten stößt bei uns auf null Toleranz.“

Auch die Stadt macht mit. Auf dem Wall, der Dortmunds historisches Zentrum umschließt, hat sie vor Kurzem Tempo 30 eingeführt. An diesem Abend schieben sich die Wagen ab 22 Uhr langsam an der Polizei vorbei. Etliche haben reichlich Pferdestärken unter der Haube. Aber ausgerechnet ein ziemlich harmlos wirkender Golf fällt als Erster auf.

Polizeikommissar Hassan Abo Rashed fühlt sich in seinem Element. Er ist im Rahmen des Programms zur Anwerbung von Spezialisten als Kfz-Meister nach der Polizeiausbildung in die Direktion V gewechselt. Das Geräusch aus dem Auspuff des VW kommt ihm zu laut vor. Der 28-Jährige nimmt ein Schallpegelmessgerät und sieht sich bestätigt. Dann nimmt er eine Taschenlampe und entdeckt frische Schleifspuren in den Radinnenkästen, neue Fahrwerksfedern und lackierte LED-Rückleuchten. „Das ist zwar kein dicker Fisch. Trotzdem könnte es recht teuer werden“, vermutet er.

Der Fahrer des aufgetrimmten Autos zeigt sich ziemlich ungehalten. Die Einsatzkräfte bleiben unbeeindruckt. Der Golf, der wie ein GTI aussehen soll, wird aufgeladen. Ein Abschleppwagen bringt ihn zum Sicherstellungsgelände. Die eingehende Prüfung bestätigt Tage später den Anfangsverdacht mit gerichtsverwertbaren Ergebnissen. Ein frisierter Katalysator hatte das Auspuffgeräusch verstärkt. Den LED-Rückleuchten fehlte genauso die Änderungsabnahme wie den Fahrwerksfedern, die den kleinen Flitzer nach unten legten. Auch die Bremsen waren nicht in Ordnung. Das Gutachten attestiert „gefährliche Mängel“ und untersagt in diesem Zustand die Weiterfahrt.

„Tiefer, schneller, breiter“ ist noch immer angesagt, bemerkt Zugtruppführer Frank Bousardt während der Schwerpunktkontrolle. Die Statussymbole von früher, etwa extreme Spoiler, seien jedoch passé. Im digitalen Zeitalter würden elektronische Methoden gewählt, die Karre aufzurüsten, ergänzt Zugführer Peer Benneweg.

Mit Chip-Tuning lässt sich selbst bei einem Ferrari, bei einem Mercedes AMG oder bei der S-Klasse noch eine Menge herausholen – auf Kosten der Verkehrssicherheit. Spezialist Hassan Abo Rashed kann oft nur den Kopf schütteln. „Du verlierst leicht die Kontrolle, wenn die einzelnen Fahrzeugteile nicht aufeinander abgestimmt sind. Bremsen, Lenkung und Reifen sind ganz kritische Punkte“, stellt der Polizist mit syrisch-palästinensischen Wurzeln fest.

Mittlerweile ist Ralf Ziegler, der Leiter der Direktion Verkehr, am Wall eingetroffen. Er macht sich gern ein eigenes Bild und schaut freitags und samstags regelmäßig bei den Aktionen vorbei. „Auch Innenminister Reul war schon hier“, erzählt er. Weil die Einsatzhundertschaft seit Anfang des Jahres hinzugezogen werde, sei die Überwachung nun noch effizienter als vorher. 900 Fahrzeuge seien zu Spitzenzeiten hier herumgefahren. „Da mussten wir handeln.“

Die Erfolge können sich bereits sehen lassen. Einige aus der Szene sind offenbar in Vororte, abgelegene Randflächen und Nachbarkommunen abgewandert. Andere bleiben gleich zu Hause. Doch noch immer kann es eine beträchtliche Meute einfach nicht lassen. Die meisten sind nicht mit einem Luxusmodell auf Tour. Einen Pkw aufzujazzen, muss nicht exorbitant teuer sein.

Als wir zum „Wash Star“ unterwegs sind, kommen uns auf der Gegenfahrbahn zwei blitzblanke Kleinwagen entgegen. Sie schaukeln gemächlich nebeneinander her. Die Herren im ersten Auto haben einen Lautsprecher dabei und wollen sich mit den Damen im anderen Wagen verabreden. Dann entschwinden sie schnell, als sie die Polizei registrieren. Das Andocken heißt „Blechtindern“. Der Haupttreffpunkt liegt am Ostwall – die sogenannte „Boxengasse“.

Doch dort ist heute tote Hose. Wenn die Kontaktbörse floriert, ist die Rollenverteilung ziemlich eindeutig: Auf Klappstühlen diskutieren die Männer mit Imponiergehabe über Drehzahlen, Turbolader oder Zusatzsteuergeräte. Die Frauen präsentieren ihre neuesten Outfits und suchen, weil es noch kalt ist, die Nähe zu den warmen Lüftungsschächten. Bis es funkt. Oder auch nicht.

„Wash Star“ im Stadtteil Eving gehört – wie der Phoenix-See – zu den Meeting Points außerhalb der City. Hassan Abo Rashed fährt mit uns im Schlepptau dorthin. Es ist nach 23 Uhr – offenbar sind wir zu spät dran. Die Waschanlage ist geschlossen. Wegen des rosa Waschschaums, den die Poser alle super finden, inszeniert man sich hier ohne Scheu. Weil es so schön schrill ist.

Die Fotos stellt man auf die Instagram-Seite „Wall Dortmund“, die 18.000 Follower hat. Wie Trophäen werden die Motive gepostet.

An diesem Abend stehen nur noch drei 23-Jährige unschlüssig auf dem Parkplatz. Hassan Abo Rashed kontrolliert ihre Ausweispapiere. Das Trio macht keinen Hehl daraus, dass es zur Szene gehört. Der Polizeikommissar erteilt einen mündlichen Platzverweis. „Die Polizei hat unser Dortmund kaputtgemacht. Nirgendwo ist mehr was los“, maulen die Burschen. Dann trollen sie sich.

Auf dem Rückweg erspäht der technisch mit allen Tricks vertraute Polizeikommissar ein echtes Geschoss, ein Kultobjekt für Tuner. Der grünviolette AMG GT steht an der Ecke Schwanenwall/Geschwister-Scholl-Straße. Listenpreis etwa 150.000 Euro. Baujahr 2015. Wegen der Extras, die in diesem Fall in den Papieren eingetragen sind, dürfte das PS-Monster rund 250.000 Euro wert sein. Der Fahrer aus dem Münsterland ist ein alter Bekannter. „Was habt ihr? Ich komm doch nur zweimal im Monat hierher“, sagt er entschuldigend. Der Wagen ist auf den Namen seiner Mutter zugelassen. Hassan Abo Rashed belehrt ihn nachdrücklich, dass die Anwohner durch die Treffs massiv belästigt würden. Dann beugt sich der Polizeikommissar herunter zu den Keramikbremsen. „Die zeigen ja schon kleine Risse.“ Die polizeilichen Anordnungen nimmt der AMG-Pilot ohne Murren entgegen. Er verabschiedet sich höflich.

Als die Polizei die mobilen Kontrollpunkte kurz vor 1 Uhr aufhebt, sammelt sich der harte Kern – vielleicht 30 oder 40 Fahrzeuge. Man umkreist noch einmal den Wall und veranstaltet ein Hupkonzert. Sofort werden Standkontrollen eingerichtet und Einzelne verwarnt. Danach ist Schluss.

Der Polizeibericht fasst das Geschehen später nüchtern zusammen: „Die Polizei überprüfte am Freitag 231 Fahrzeuge und 278 Personen. Rechtfertigende Gründe, in der Nacht ohne Ziel über den Wall zu fahren, hatten die wenigsten. Die Polizei sprach 50 Platzverweise aus. Zwei Fahrzeuge stellte sie zudem sicher. Die Betriebserlaubnis war erloschen. Mit 38 Verkehrsverstößen, darunter elf Ordnungswidrigkeiten, fielen wiederum einige Angehörige der Szene auf. Die Beamten stellten bei zusätzlichen Kontrollen zudem acht Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung fest. Auch diesmal galt: Erst als die letzten Fahrzeuge der Szene entnervt die Innenstadt verließen, beendete die Polizei die Kontrollmaßnahmen. Sie werden in den kommenden Monaten fortgesetzt.“

PHK Christoph Klinger zeigt sich mit dem Einsatz zufrieden: „Das war ja nichts Dolles. Die Szene scheint sich allmählich zurückzuziehen.“ Der ehemalige Wasserballspieler setzt auf den langen Atem der Polizei.

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In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110